Strategie von Grünen und Neos für österreichische Nationalrats- und EU-Wahl
Vergleichen Sie die Analysen von Oliver Korschil und Feri Thierry und leiten Sie daraus Unterschiede der Strategien von Grünen und Neos für Nationalrats- und EU-Wahl ab.
Vorab möchte ich anmerken, dass angesichts der unterschiedlichen Qualität und Art der Vorträge (und Unterlagen) von Korschil und Thierry eine exakte Gegenüberstellung nicht möglich sein kann. Bei der Gegenüberstellung der Strategien sei bewusst in die Strategie bei den Nationalratswahlen und jene – abgeänderte – bei der EU-Wahl unterschieden.
Bei den Grünen war die Nationalratswahl 2013 nach eigenen Aussagen eine von fünf Wahlen, die durch eine gemeinsame Strategie im Wahlkampf verbunden waren. Nach Aussagen Korschils verknüpfte man die Grüne Kernkompetenz „Umweltschutz“ mit der neuen Kompetenz „Aufdeckung / Kampf gegen Korruption“. Neben dem hyperaktiven Peter Pilz hatte sich die Salzburger Grünen-Chefin als Leiterin der Untersuchungen zur Finanzaffäre weit über ihr Bundesland hinaus einen Namen gemacht. Das gipfelte im Plakat: „100% Bio, 0% korrupt“.
Den Grünen war oft der Vorwurf gemacht worden, „alt“ geworden zu sein. Es gab kaum wirklich neue Ideen, innovative Auftritte, die Mandatare blieben unverändert (Pilz& Co. saßen seit gefühlten und tatsächlichen Jahrzehnten im Parlament, die „Grünen Vorwahlen“ wurden von der Landesleitung abgewürgt und damit personelle Erneuerung verhindert). Nichtsdestotrotz setzen sich die Grünen das ambitionierte Ziel, bei den Jungwählern den Platz 1 zurück zu erobern. Gleichzeitig sollten politikferne Schichten angesprochen werden, und das durch ungewohnte, überraschende Mittel:
- „Genug gestritten“: Faymanns Wahlkampfslogan aus 2008 wurde mit dem umgedrehten Marienkäfer aus dem Salzburger Landtagswahlkampf kombiniert.
- „Weniger belämmert als die Anderen“: Bewusste Selbstironie, „Politik mit Augenzwinkern“
- Satirische „Kinder, Kinder“ Videos mit gezielter Viralisierung und Vermarktung über Boulevard
- Online-Spiel „Part of the Game“
- Jugendmagazin „Eva“ (das allerdings bei der eigenen Parteijugend massiv kritisiert wurde) – mit Kondom, ganz im „Bravo“-Stil
Die „NEOS“ wurden bewusst ignoriert, da man ihnen einerseits keinen Einzug in den Nationalrat zutraute, andererseits damit rechnete, dass sie nur der ÖVP Stimmen kosten würden. In beiden Einschätzungen lag man falsch: Gemessen am Wähleranteil kosteten die NEOS die Grünen mehr Stimmen (relativ gesehen) als die ÖVP.
Im Europawahlkampf wollte man den Fehler kein zweites Mal machen. Hier wurden die NEOS ganz klar zum Haupt-Angriffsziel gemacht. Sujets und Videos stellten NEOS und Grüne gegenüber – und das durchaus mit einer gewissen aggressiven Schärfe.
Gleichzeitig grenzte man sich sachpolitisch ab: Während die NEOS einen bedingungslos EU-euphorischen Kurs einschlugen, plakatierten die Grünen EU-Kritik, wie sie auch von der FPÖ (auf anderem Gebiet) hätte kommen können: „Mein Paradeiser (meine Tomate) darf nicht illegal werden“ oder zielgruppengerecht „Lieber Menschen retten als Banken“. Für die Grünen ein ungewohnter Populismus, die in der Öffentlichkeit zuvor als EU-freundlich wahrgenommenen Grünen gaben sich nun in erster Linie EU-kritisch. Selbst für Grün-freundliche Medien und Social Media Aktivisten gingen sie schließlich mit der Plakatierung von Ernst Strasser („Menschen sind wichtiger als Lobbys“) zu weit und führten bei ÖVP-Sympathisanten sogar zu einer Mobilisierung für die eigene Partei.
Die Strategie des NEOS-Wahlkampfs in der Nationalratswahl kann nur schwerlich als von Anfang an geplant bezeichnet werden, fast hat man den Eindruck, der Einzug in den Nationlrat wäre den NEOS „passiert“. Auch von der Motivationslage der Wähler her profitierten die NEOS vom Image als „Veränderer“, als neu, modern, innovativ, bürgernah, als Sammelbewegung für alle, die von der traditionellen Politik enttäuscht waren.
Die NEOS konnten sich auf zwei Eckpunkte verlassen: Die basisdemokratische Orientierung, die „Bottom Up“ Gesinnung, sie kamen „aus der Mitte des Volks“. Dazu kam eine starke mediale Unterstützung – einerseits von ehemals „bürgerlich“ orientierten Journalisten, andererseits von Journalisten aus dem „Grünen“ Bereich – also „modern“, aufgeschlossenen, innovativen Redakteuren, vor allem aus dem urbanen Bereich.
Eine Kompetenz, die sich die NEOS von Anfang an auf die Fahnen hefteten, war die Wirtschaftskompetenz. Matthias Strolz, der in der Wirtschaftskammer groß geworden war, kannte die Probleme der Wirtschaftstreibenden und wusste, den Finger auf offene Wunden zu legen. Das honorierten wiederum die entsprechenden Interessensvertreter, allen voran die Industriellenvereinigung. Als personifizierte Wirtschaftskompetenz stellte sich schließlich Haselsteiner Strolz an die Seite.
Den Einzug in den Nationalrat freilich verdanken die NEOS dem verkorksten Wahlkampf von Stronach, der für viele enttäuschte Wähler als Alternative ausgefallen war.
Im Europawahlkampf fanden sich die NEOS in einer neuen Situation. Waren sie im Nationalratswahlkampf noch von den etablierten Parteien ignoriert worden, mussten also um die rare Ressource „Aufmerksamkeit“ kämpfen, wurden sie im EU-Wahlkampf zum Ziel einer aggressiven Kampagne der durch sie geschwächten Grünen und der ÖVP.
Die NEOS selbst wollten sich laut Thierry auch in dieser Situation klar von anderen Parteien abheben: Immer positiv agieren und werben statt auf negative (oder dirty) campaigning auf derselben Ebene zu antworten. Man verzichtete also (offiziell) bewusst auf diesen Teil der Wahlkampfinstrumente und setzte auf Positivbotschaften. Das aggressive Video der Grünen mit der Abgrenzung zu den NEOS wurde mit einem Positivvideo beantwortet: „Was wir Grünen und ÖVP verdanken“ (https://www.youtube.com/watch?v=fFx0w77xsIM): völlig überraschend, gegen jede politische Logik und doch mit entsprechendem Sympathiegewinn.
Die NEOS präsentierten sich – laut eigenen Aussagen – als kritische Pro-Europapartei, wurden allerdings in der Öffentlichkeit eher als bedingungslose EU-euphorische Partei wahrgenommen. Hauptproblem war das „Hineinstolpern“ in gewisse Situationen, die man als „nicht etablierte Partei“ nicht gewohnt war, etwa die TV-Auftritte der Spitzenkandidatin Angelika Mlinar, von denen in erster Linie der politische Mitbewerber profitierte. Hier stand Thierry mit einer entwaffnenden Offenheit zum „Lernprozess“ der neuen Partei.
Und so lässt sich abschließend beinahe schon konstatieren: Die NEOS sind die neuen Grünen: mit neuen Gesichtern, viel Basisdemokratie, unorthodoxer Herangehensweise und einer neuen Art, Politik zu machen. Eine Strategie, die mit allen ihren Licht- und Schattenseiten wohl auch weiterhin konsequent durchgehalten wird.
Diese Ausarbeitung ist die Beantwortung einer Prüfungsfrage an der Donau-Universität Krems / Politische Kommunikation bei Prof. Plaikner und Prof. Filzmaier.