Die Aufregung ist groß: Artikel 13 der EU-Urheberrechtslinie, der Plattformen künftig für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haftbar machen soll, wird von vielen aufgeregt als Ende des World Wide Web gesehen. Grund dafür ist ein Blog-Posting von YouTube-Chefin Susan Wojcicki. Sie suggeriert, dass es künftig nur mehr große Marken als Anbieter auf YouTube geben würde. Doch was ist wirklich dran? Erleben wir das Ende des WWW? Erleben wir das Ende von YouTube? Zerstört die EU das Internet?
Was steht drin?
Betrachten wir einmal einen Original-Auszug aus dem umstrittenen Paragraphen:
1. Diensteanbieter der Informationsgesellschaft, die große Mengen der von ihren Nutzern hochgeladenen Werke und sonstigen Schutzgegenstände in Absprache mit den Rechteinhabern speichern oder öffentlich zugänglich machen, ergreifen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die mit den Rechteinhabern geschlossenen Vereinbarungen, die die Nutzung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände regeln, oder die die Zugänglichkeit der von den Rechteinhabern genannten Werke oder Schutzgegenstände über ihre Dienste untersagen , eingehalten werden. Diese Maßnahmen wie beispielsweise wirksame Inhaltserkennungstechniken müssen geeignet und angemessen sein. […]
2. Von Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten mit den Rechtsinhabern über die in Absatz 1 genannten Handlungen der Wiedergabe geschlossene Lizenzvereinbarungen erstrecken sich nach Maßgabe der darin festgelegten Bedingungen auf die Haftung für von Nutzern dieser Dienste hochgeladene Werke, sofern diese Nutzer nicht für gewerbliche Zwecke handeln.
Hier finden wir die zwei zentralen Kritikpunkte an der Urheberrechtsrichtlinie:
- Inhalte müssen automatisiert erkannt werden. In Zusammenhang mit Ziffer 2. und der dort normierten Haftung bedeutet das die Einführung von sogenannten „Uploadfiltern“. Ein Uploadfilter bedeutet dabei nichts anderes, als dass Inhalte bereits vor der Veröffentlichung überprüft werden müssen und nicht mehr direkt publiziert werden können.
- Plattformbetreiber haften für die Urheberrechtsverletzungen ihrer nicht-gewerblichen Nutzer.
Auf den zweiten Kritikpunkt bezieht sich Wojcicki, wenn sie andeutet, dass in Europa künftig keine privaten Videos mehr auf YouTube verfügbar sein werden – und nur noch große Marken zu sehen sind. Denn YouTube könne es sich nicht leisten, ein derartig hohes Schadenersatzrisiko einzugehen.
Massenpanik
Der Höhepunkt der Zuspitzung findet sich in YouTube-Videos von Influencern, die um ihren Channel fürchten. Bekannt etwa „Warum es YouTube nächstes Jahr nicht mehr gibt“:
2019 soll es also kein YouTube mehr geben. So weit, so falsch, denn:
- 2019 ist die Richtlinie noch gar nicht in Kraft.
- Es ist einzig und allein die Entscheidung von YouTube, welche Inhalte es (rechtskonform) zulässt und welche nicht.
- Die EU-Richtlinie sieht keine Haftungsausnahme „nur für große Firmen“, sondern für ALLE gewerblichen Inhalte vor. Das trifft selbstverständlich auf Influencer, die von ihren YouTube-Kanälen leben, ebenso zu. Ihre Sperre hätte nichts mit Artikel 13 zu tun, sondern ist nur eine Drohkulisse.
- Der Artikel 13 betrifft NICHT alle Webseiten, sondern nur Plattformen mit einer hohen Anzahl an Inhalten.
- Die Meinungsfreiheit wurde NICHT von YouTube erfunden oder erst ermöglicht.
Wojcicki hat mit ihrem Lobbying freilich geschickt ihr Ziel erreicht. Große – vor allem junge – Teile der europäischen Bevölkerung sind in Sorge, wenn nicht gar in Panik, und sehen die EU ein halbes Jahr vor der nächsten EU-Wahl als ihren Feind, den Feind von Internet und Meinungsfreiheit. So lassen sich Parteien und Abgeordnete gut erpressen.
Uploadfilter: Metternich 2.0
Freilich ist Punkt 1, der Uploadfilter, alles andere als harmlos. Denn dieser Filter bedeutet nichts anderes als eine Vorzensur, wie sie von Metternich im 19. Jahrhundert etabliert wurde. Veröffentlicht werden durfte nur, was einer gestrengen Vorzensur nicht zum Opfer fiel. Was also nicht genehm war, erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit. Organisatorisch funktioniert ein Upload-Filter genau so. Was der automatisierten Vorprüfung nicht standhält, erblickt nie das Licht der Öffentlichkeit. Uploadfilter sind nichts anderes als Vorzensur – nur, dass diesmal nicht der Staat, sondern ein gigantischer privater Konzern entscheidet. Ob das wirklich so viel besser ist?
Freilich kann man hier einwenden, dass es ja lediglich um Copyright-Verletzungen geht, also nur um die Verhinderung von Gesetzesverstößen. Aber wer garantiert uns, dass das tatsächlich so funktioniert? Uploadfilter sind fehleranfällig. Viele nicht Copyright-geschützte Inhalte fallen ihnen zum Opfer. Und wer sagt, dass Uploadfilter nicht künftig auch für andere Zwecke eingesetzt werden? Was, wenn zukünftig ein automatisierter Uploadfilter auf Facebook entscheidet, ob politische Kritik zulässig oder ein Hassposting ist?
Copyright: Berechtigtes Anliegen
Bei einer seriösen Betrachtung kommen wir freilich an der Ursachenforschung nicht vorbei. Wozu braucht es überhaupt Urheberrichtlinie, Artikel 13 und Uploadfilter?
Die unbefugte Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte ist heute ganz alltäglich. Internet-Konzerne wie YouTube profitieren davon und verdanken diesen Copyright-Verletzungen einen großen Teil ihres Gewinns. Klar, dass die Rechteinhaber nicht glücklich damit sind, dass sie etwas erarbeiten – den Profit daraus aber jemand anderer abschöpft. Hier hat YouTube schon viel getan (Verträge, Filter, Entschädigungen etc.). Doch es dürfte noch nicht genug gewesen sein.
Was heißt hier Copyright?
Gute Frage: Was bedeutet überhaupt Copyright? Die meisten Jugendlichen haben hier ihre eigene Definition. Die Verwendung von Hintergrundmusik in Videos wird – egal, wem sie gehört – als zulässig betrachtet. Aus urheberrechtlich geschützten Musiktiteln entstehen neue Werke. Viele Jugendliche betrachten mit diesen umfangreichen Änderungen das Copyright der ursprünglichen Musik als hinfällig – denn nun ist es ja ihr eigenes, von ihnen selbst zusammengestelltes Werk.
Das Gesetz kennt hier keine Gnade: All das sind Urheberrechtsverletzungen. Doch Jugendlichen ist das meist nicht bewusst. Das liegt nicht allein an ihnen – das liegt an grundlegenden Fehlern im Bildungssystem. Denn ein System, das von neuen Techniken und Medienwandel nichts versteht, kann die Jugend nicht im richtigen Umgang damit heranbilden.
Wir brauchen einen neuen Konsens!
So ist es letztendlich in der Bildung das selbe wie in der Urheberrechtrichtlinie mit ihren Uploadfiltern: Menschen, die den Wandel der Zeit, die Neuen Medien, die neue Kommunikation nicht verstehen, wollen sie gestalten – und scheitern daran kläglich. Es wird Zeit, die Diskussion auf eine breitere Basis zu stellen und einen gesellschaftlichen Konsens unter Einbeziehung aller Generationen zu finden.